Blogpost: Infrared Cinematography
Erfahre mehr über die Technologie hinter dem Teaser zu Project Solanum.
Hast du diese Technologie bereits anderswo angewendet gesehen?
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Bei der Entwicklungsarbeit von Project Solanum steht seit jeher die Realisierbarkeit im Zentrum. Das Science-Fiction Projekt soll in der Schweiz mit hiesigen Filmschaffenden entstehen, weshalb wir uns früh auf die Suche nach Techniken machten, die für hiesige Budgets realistisch sind und gleichzeitig hohen Production Value versprechen. Dank der Unterstützung von Migros Kulturprozent Story Lab, Foto Video Zumstein / zumirent.ch und Kolari Vision konnten wir bereits früh im Entwicklungsprozess Filmaufnahmen im Infrarot-Bereich und damit eine eigene visuelle Sprache für unsere Story testen. Entstanden sind fantastische Bilder aus einer Welt, in der die Natur in eine komplett andere Erscheinung tritt und uns direkt erfahren lässt, dass Farbe ein relatives Konzept ist. Um ehrlich zu sein, haben wir alle im Team es bis zum Schluss nicht geschafft, das dahinterliegende Prinzip vollständig zu verstehen. Aber der Reihe nach.
Um im Infrarot-Bereich digitale Filmaufnahmen machen zu können, braucht man als erstes eine Kamera, die auch Licht ausserhalb des sichtbaren Bereichs einfangen kann. So treffen auch UV- und Infrarot-Strahlen auf den Kamerasensor und werden miteinbezogen. In der Fotografie wird diese Technik schon länger angewendet und es gibt viele Informationen und Angebote. Dank Kolari Vision gibt es mittlerweile einen Anbieter, der die dazu notwendige, mechanische Modifizierung auch an Filmkameras anbietet, obwohl es bis dato nur wenige Anwendungsbeispiele dafür gibt. Bei der Konvertierung wird ein Stück Glas vor dem Kamerasensor entfernt, das normalerweise dafür sorgt, das Lichtspektrum auf den sichtbaren Teil zu beschränken.
Für unsere Zwecke haben wir eine Blackmagic Pocket Cinema Camera 6K an Kolari eingeschickt und modifizieren lassen. Zuletzt verliert man mit der Modifizierung eigentlich nichts, denn den sogenannten Hot Mirror, also den IR-UV Cut Filter, kann man als Schraub- oder Clip-In-Filter einfach wieder montieren, um so die ursprüngliche Funktion zurück zu erhalten.
Da nun aber ohne Hot-Mirror ein erweitertes Spektrum an Licht von der Kamera eingefangen wird, entstehen unzählige Möglichkeiten, wie man dieses kreativ nutzen kann. Es gibt diverse Filter zum Ausprobieren. Dabei verändern gewisse Filter das Bild so stark, dass es ziemlich extrem aussieht und wieder andere erfordern, dass man im Anschluss an Aufnahmen die Farbkanäle tauscht. So erreicht man zwar wieder ein ansehnliches Bild von Landschaften und Architektur, da sich mit dem Kanaltauschen aber auch die Hauttöne verändern, waren diese Varianten für unser Filmprojekt nicht interessant. Ausführlich getestet haben wir zwei Filter: IR-Chrome und 550Nm. Beide von Kolari Vision bereitgestellt und kaufbar im Shop von Foto Video Zumstein. Der IR-Chrome Filter war für uns die erste Wahl, da er das Grün der Vegetation verändert, ohne die Hauttöne oder das Blau des Himmels unwiderruflich zu verschieben. Wie sich herausstellt, gilt IR-Chrome auch als guter Einstiegsfilter in die Technik. Nämlich weil es nahezu WYSIWYG ist, also «what you see is what you get».
So einfach ist es dann aber eben doch nicht. Der IR-Chrome-Effekt verändert nicht nur die Landschaft, sondern auch alle anderen Sachen, die mit dem Infrarot-Wellenlängenbereich interagieren. Namentlich die Kostüme der Darstellerinnen und einige Requisiten. Make-up scheint nicht betroffen zu sein, ausser blondierte Haare, die plötzlich knallrot werden, auch wenn sie zusätzlich gefärbt wurden. Deshalb haben wir bereits vor dem eigentlichen Test ausführlich Textilien ausprobiert, um ein Kostüm herzustellen, welches sich unter IR-Bedingungen so verhält, wie wir es wünschen und erwarten.
Kein Objekt, kein Material, keine Oberfläche verhält sich gleich. Wir konnten nie - und können es immer noch nicht - mit absoluter Sicherheit sagen, wie sich eine Farbe oder ein Material auf dem IR-Bild verhält. Die Farbe Schwarz zum Beispiel kann je nach Verarbeitung des Objekts oder der Textilie entweder infrarot abstrahlen oder nicht. Bei unseren Materialtests, welche wir konsequenterweise direkt in den Läden, in denen wir die Requisiten und Textilien für den Dreh kauften, vor Ort mit der modifizierten Kamera machten, waren wir immer wieder sehr erstaunt. Aus einer Reihe von schwarzen Seilen wurden mehrere Typen rot und nur ein Seil erstrahlte in seinem originalen Schwarz. Die Kamera blieb während der ganzen Kostüm-Entstehung bei der Kostümbildnerin im Atelier, damit sie sozusagen live sehen konnte, wie sich das Material verhält.
Auf dem Filmset ist es deshalb sehr schwierig, sich das Bild im IR-Look vorzustellen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Farben sich von dem, was wir uns gewohnt sind, sowieso schon stark unterscheiden. Wir mussten uns mehr Zeit nehmen, um eine Komposition neu zu denken. Ein wichtiges Werkzeug war gutes Monitoring am Set. Wir haben uns deshalb entschieden mit einer Funkbildstrecke und dem Sumo-Monitor von zumirent zu arbeiten, um einen grossen Regie- und Kontrollmonitor zu haben, welchem wir vertrauen können und welchem wir ein sogenanntes LUT, oder Look-up-Table speisen konnten. Denn die Reise mit IR-Chrome war mit dem Dreh noch nicht ganz zu Ende und vieles konnten wir erst in der Nachbearbeitung entdecken.
Eine erste, wichtige Erkenntnis dreht sich um sogenannte IR-Pollution. Ein Faktor, der sogar ohne IR-Chrome relevant ist, nämlich dann, wenn man im Sonnenlicht ND-Filter verwendet, die keinen IR-Schutz aufweisen. Je mehr sichtbares Licht in unserem Fall gefiltert wird, desto höher wird der IR-Anteil. Das Resultat: das Bild wird insbesondere in den Schatten rot gefärbt. Für die Verwendung von IR-Chrome war es also umso wichtiger, qualitativ hochwertige IR-NDs zu gebrauchen, welche wir von zumirent zur Verfügung gestellt bekamen. Nicht-IR ND-Filter sind in der Kombination mit IR-Chrome komplett unbrauchbar.
Es gibt des Weiteren das Phänomen des IR-Overloads. Wenn aus allen Himmelsrichtungen IR-Licht auf das Subjekt trifft, dann ist der IR-Anteil so hoch, dass das gesamte Bild und zum Beispiel auch die Hauttöne nur noch Rot erscheinen. Es lohnt sich also, die Location, die Position des Subjekts und der Kamera sorgfältig auszuwählen, um den Anteil von IR steuern zu können.
Ein Faktor, der weniger mit dem erweiterten Spektrum, als mehr mit unserem Genre zu tun hat, war die Wahl der Linse. Wir wollten anamorph drehen, weshalb wir die Atlas Orion von zumirent ausgewählt haben. Zwar geben sie ein schönes, charakteristisches und weiches Bild wieder, sie erzeugen aber auch reichlich Aberrationen und haben insbesondere im Gegenlicht Mühe, Kontrast zu behalten. Da wir draussen im starken Sonnenlicht drehen wollten, um uns dem IR-Effekt so stark wie möglich auszusetzen, haben wir auch die Linsen an ihre ästhetischen Grenzen gebracht. Die Kombination von IR-Chrome und charakterstarken Linsen war nicht in jeder Situation ideal. Vermutlich eignen sich schärfere Linsen mit weniger auffälligem Charakter besser, wie beispielsweise die Zeiss CP3-Reihe, die man ebenfalls bei zumirent kriegt. Wir empfehlen übrigens mit den 4x5.6 Filtern zu arbeiten, da sie im Gegenteil zu Schraubfiltern ein professionelles Handling ermöglichen und grössere Optiken zulassen.
IR-Chrome Material ist sehr anspruchsvoll. In den meisten Fällen wird der Rot-Kanal überbeansprucht. Man ist gezwungen, im Nachhinein reichlich zu bearbeiten, also zu graden. In der Fotografie ist man sich das ohnehin gewohnt (man denke an RAW-Bilder), während das in der Filmwelt nicht immer gefragt ist. Bei Full Spectrum kommt man auf jeden Fall nicht darum herum, mit hoher Bitrate und grosser Bittiefe zu arbeiten. 10-bit ist in unserem Auge das absolute Minimum. Für einmal ist es wirklich empfehlenswert, mit Video-Raw-fähigen Kameras zu arbeiten und die grossen Datenraten in Kauf zu nehmen.
Unter dem Strich haben wir mit IR-Chrome bekommen was wir wollten: Eine bezaubernde, einzigartige visuelle Welt, die neue Möglichkeiten bietet ohne den Einsatz von heftigen VFX, sondern quasi direkt in- beziehungsweise out-of-camera. Es ist zwar so, dass man sich sehr ausführlich mit dieser Technik auseinandersetzen muss, damit man sie meistern kann, doch genau das hat uns auch motiviert unsere Zukunftsvision auf diese Technik masszuschneidern. Auch in kleinerem Masse, also unabhängig von ambitionierten Climate-Fiction Projekten, ist Full Spectrum eine faszinierende und kreative Technik, die einlädt zu experimentieren.
Als nächsten Schritt werden wir auch Infrarot-Situationen für Szenen in der Nacht und ohne natürliches Sonnenlicht testen. Nicht alle Lichtquellen und Lampen enthalten aber Infrarot-Anteil. LED zum Beispiel praktisch gar nicht, weshalb es mit modernem und stromsparendem Licht nicht möglich ist, ein Set dafür auszuleuchten. Zurück zu Halogen- und Glühbirnen mit Wolframdraht ist da die Devise. Diese wohl ursprünglichste Beleuchtung für Filmaufnahmen hat, gerade wenn sie gedimmt wird, einen sehr hohen relativen Infrarot-Anteil. Wir sind gespannt, was dabei für Bilder entstehen werden.
Kolari Vision - Services und Equipment
Full Spectrum Conversion Service
Kolari Vision IR Chrome Lens Filter
zumirent.ch - Equipment
Atlas Orion 2x Anamorphic Lenses
Bright Tangerine Mattebox
Teradek Bolt 500 Video-Funkstrecke
Atomos Sumo Regie-Monitor
IRND Filter Set 4x5.65
Funkgeräte
Eigenes Equipment
BMPCC 6K (Full Spectrum converted)
Shoulder Rig
Nucleus M Funkschärfe
Small HD Cine 7
Small HD Indie 7
Crew
Project Solanum - Eine Story in Entwicklung
von Sean Wirz, Carlo El Basbasi, Basil Oberli
mit Marie Popall und Sasha Melroch
Kamera: Basil Oberli
1. Kamera-Assistent: Jasper ter Mors
2. Kamera-Assistentin: Nadine Aeschbacher
Farbkorrektur: Nicolas Minder
VFX: Lukas Bieri
BTS: Mikael Zwahlen
Makeup: Sharon Berger, Ania Couderc
Kostüm: Gaelle Da Costa
Ton: Duri Wirz
Musik: Jan Glauser
Produzent: Carlo El Basbasi
Buch und Regie: Sean Wirz